Musikerinnen und Musiker, vereinigt euch!

Die Corona-Pandemie wirkt in vielen Bereichen der Gesellschaft wie ein Brennglas. Beschränkungen des öffentlichen Lebens und Eingriffe in den Berufsalltag machen Defizite öffentlich sichtbar, die zuvor vor allem unter Fachleuten diskutiert wurden. Das gilt im Krankenhaus- und Pflegebereich, in der Bildung und bei der Digitalisierung, aber auch in der Kultur. Im Musikleben rückt die historisch gewachsene Zweiteilung von Festangestellten und Freischaffenden verstärkt ins öffentliche Bewusstsein.

Wer als Musikerin oder Musiker im Orchester, in einem Opern- oder Konzerthaus, im Rundfunk, aber auch bei der Kirche oder in einer Musikschule fest angestellt ist, bleibt auch während der Pandemie über sein Arbeitsverhältnis sozial abgesichert, ggf. auch mit Hilfe von Kurzarbeitergeld. Aber fast alle freischaffenden Musikerinnen und Musiker sämtlicher Stilrichtungen, Sängerinnen wie Instrumentalisten sind in ihrem sozialen Status bedroht. Sie werden nur durch Lebenspartnerin oder Lebenspartner, Familie oder öffentliche Sozialleitungen aufgefangen. Für sie muss die Kulturpolitik in Bund und Ländern endlich massive Verbesserungen auf den Weg bringen.

Vor fast 200 Jahren saßen Berufsmusiker meist noch im selben Boot. Der Historiker Martin Rempe schildert in seinem 2020 erschienenen Buch Kunst, Spiel, Arbeit. Musikerleben in Deutschland, 1850 – 1960 die Entwicklung des Musikerberufs und seiner sozialen Stellung in der Gesellschaft. Er beschreibt auch die Situation Mitte des 19. Jahrhunderts: „Ob höfisch, städtisch oder privat beschäftigt, gelang Orchestermusikern in der Regel der gesellschaftliche Anschluss an ihr zunehmend bürgerliches Publikum nicht. Vielmehr verharrten sie ungeachtet eines wachsenden beruflichen Selbstverständnisses als Künstler auf einer sozialen Stufe mit Lohnarbeitern und Handwerkern.“[1]

Lediglich im stark wachsenden Bereich der Militärmusik gelang es, ihren gesellschaftlichen und sozialen Status signifikant anzuheben. Um eine breite Verbesserung ihrer sozialen Lage herbeizuführen, gründeten 1831 rund 150 Musiker zunächst nur in Hamburg den Hamburger Musikerverein. Sie wollten vor allem für Krankheit und Alter solidarisch vorsorgen. Später gingen sie auch gegen unfaire Beschäftigung vor.

30 Jahre danach entstand der Allgemeine Deutsche Musikerverein (ADMV), 1872 der Allgemeine Deutsche Musikerverband (ADEMUV). Es gab zwar große Gemeinsamkeiten mit der sozialliberalen Gewerkschaftsbewegung, aber proletarische Parolen im „Kampf gegen Ausbeutung und Sklaverei“ fanden mehrheitlich bei Berufsmusikern keinen Anklang.[2] Das berufliche Selbstverständnis als Künstler unterschied sich deutlich von dem der Fabrikarbeiter.

Ab etwa 1900 führte verstärktes politisches Lobbying von Orchestermusikern und ihren Vereinigungen zu einer stetigen strukturellen Verbesserung der sozialen Situation. Die Übernahme von Hofkapellen durch Kommunen und Länder mit dem Ende des Kaiserreichs und die Erhöhung der öffentlichen Finanzierung, ab Mitte der 1920er Jahre die Gründung von festen Rundfunkensembles und schließlich in den 1930er Jahren die weitgehende Gleichstellung von Orchestermitgliedern mit Beschäftigten des öffentlichen Dienstes waren wichtige Wegmarken der sozialen Emanzipation. Weitere positive Schübe folgten nach der Gründung der Bundesrepublik und der Wiedervereinigung Deutschlands.

Während es in den USA mit der American Federation of Musicians oder in Großbritannien mit der Musicians Union große einheitliche Musikergewerkschaften gibt, die sparten- und genreübergreifend Interessen aller Berufsmusikerinnen und -musiker vertreten, war und ist die Situation in Deutschland stark fragmentiert. Komponisten, Tonkünstler, Jazzer, Rock- und Popmusiker, Opernchorsänger, Gesangssolisten, etc. haben jeweils ihre eigenen Verbände bzw. Gewerkschaften. Aber längst nicht alle Angehörigen dieser Berufsgruppen sind organisiert. Viele Künstlerinnen und Künstler sehen sich offenbar immer noch als Einzelkämpfer.

Orchestermusiker und Rundfunkchormitglieder hingegen sind zu über 90 Prozent bei unisono organisiert. Auch die Zahl der Freischaffenden bei unisono steigt kontinuierlich, vor allem aus dem Umfeld selbstständiger Orchesteraushilfen und der Mitglieder freier Ensembles, aber auch darüber hinaus. unisono hat im März 2021 bundesweit alle Theater- und Konzertorchester aufgefordert, bei Wiederaufnahme des Proben- und Spielbetriebs zukünftig Aushilfen vorrangig aus der freien Szene zu verpflichten. Die durch die Corona-Pandemie entstandene, unverschuldete Notsituation vieler Freischaffender hat die Solidarität der Festangestellten beflügelt. Diesen Schwung gilt es zu nutzen. Denn Gemeinschaft macht am Ende stark.

unisono erhöhte im Frühjahr 2022 die Mitwirkung von Freischaffenden. Per Satzungsänderung sind sie auch im Geschäftsführenden Vorstand und im Gesamtvorstand vertreten. Mit dem organisatorischen Umbau bildet unisono einen neuen Schwerpunkt der Verbandspolitik ab. Dieser kommt folgerichtig auch im neuen Namen unisono zum Ausdruck, den der Verband seit Oktober trägt.

[1] Martin Rempe: Kunst, Spiel, Arbeit. Musikerleben in Deutschland, 1850 – 1960. Vandenhoeck & Ruprecht, 1. Auflage 2020, Seite 43

[2] ebenda, Seite 123