Orchester 2030
26.08.2021
Dieses Positionspapier richtet sich vorrangig an die Mitglieder der Kommunal- und Landesparlamente, des Deutschen Bundestages und die Verantwortlichen der Kultur- und Finanzpolitik der entsprechenden Verwaltungsebenen. Es berücksichtigt vor allem die durch die Bewältigung der Folgen der Coronapandemie entstandene Sondersituation und geht folgenden Fragen nach:
- Was sind die aktuellen Probleme und Herausforderungen für die öffentlich finanzierten Orchester und Theater?
- Wie und durch welche konkreten Maßnahmen kann der Bestand der deutschen Berufsorchester und der mit ihnen verbundenen Stadttheater, Musiktheater und Konzerthäuser gesichert und stabilisiert werden?
- Welche Schlussfolgerungen, Thesen, Handlungsempfehlungen und Forderungen ergeben sich daraus?
Abstract
- Orchester und Theater in Deutschland erfreuten sich bis zum Ausbruch der Coronapandemie regelmäßig steigender Publikums- und Auslastungszahlen. Sie hatten per se keine Nachfrageprobleme und haben gute Aussichten, das Vor-Coronaniveau in absehbarer Zeit wieder zu erreichen.
- Viele Orchester und Theater haben ein strukturbedingtes Finanzierungsproblem. Insbesondere das Phänomen der disproportionalen Personalkostendynamik ist bis heute ungelöst. Es stellt weiterhin die eigentliche strukturelle Kernursache für die Budgetprobleme von öffentlich getragenen Orchestern und Theatern dar. Systemimmanent ist auch, dass die Produktivität besonders personalintensiver künstlerischer Betriebe im Vergleich zur gewerblichen Wirtschaft nicht beliebig steigerungsfähig ist.
- Orchester und Theater können angesichts ihrer spezifischen Personalstruktur inflationsbedingte Kostensteigerungen nicht durch eigene Einnahmenerhöhungen ausgleichen. Öffentliche Zuwendungen müssen daher stets eine angemessene Tarifvorsorge vorsehen.
- Die Fehlbedarfsfinanzierung des öffentlichen Haushaltsrechts bremst bei Orchestern und Theatern oftmals wirtschaftlich sinnvolle Innovationen und blockiert entsprechende Entwicklungspotenziale.
- Orchester und Theater müssen auch selbst mittel- und langfristige Strategien entwickeln und geeignete Maßnahmen ergreifen, um ihre Relevanz in ihrem Umfeld noch stärker und immer wieder neu unter Beweis zu stellen. Dieser Strategieprozess bedarf konkreter Zielvorstellungen und verlässlicher Rahmenbedingungen von Seiten der öffentlichen Hand.
- Die Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für Kultur insgesamt beliefen sich im Jahr 2017 (Bezugsjahr der aktuellsten Veröffentlichung) auf rund 11,4 Milliarden Euro. Das entspricht lediglich 0,35 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts.
- Die Kommunen, vor allem die Städte, spielen als örtliche Träger naturgemäß die wichtigste Rolle bei der Orchester- und Theaterfinanzierung.
- Einzelne Kommunen sind aktuell immer weniger in der Lage, im Rahmen der allgemeinen Daseinsvorsorge und bei der Regelung ihrer örtlichen Angelegenheiten (Art. 28 GG) für eine ausreichende bzw. strukturell steigende Finanzierung ihrer Kultureinrichtungen aufzukommen. Durch die Coronapandemie hat sich die Kulturfinanzierung in Abhängigkeit von der Höhe der jeweiligen kommunalen Finanzierungsanteile mancherorts verschärft.
- Es liegt ganz überwiegend in der Kompetenz der Bundesländer, im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenz sowie durch Gestaltung des Landeshaushaltsrechts für die Kulturfinanzierung die Parameter und die Kostenverteilung zwischen Land und Kommunen festzulegen.
- Eine Stabilisierung und nachhaltige Zukunftssicherung der Orchester und Theater muss auf jeden Fall an der Verbesserung der kommunalen Finanzsituation ansetzen.
- Nach dem Abklingen der Coronapandemie wird es noch dauern, bis sich die kommunale Finanzsituation und die Eigeneinnahmen von Orchestern und Theatern wieder normalisieren. Bis dahin brauchen Kommunen eine Überbrückungsfinanzierung, um die kulturelle Grundversorgung weiter ohne Einschnitte zu gewährleisten.
- Das ermöglicht eine einmalige Sonderförderung des Bundes aus für das Jahr 2022 bereits bewilligten, noch nicht verausgabten Haushaltmitteln bei der BKM (Kulturmilliarde) zur direkten Stärkung kommunaler Kulturhaushalte.
- Für die Sicherung der Infrastruktur und der öffentlichen Finanzierung der Orchester und Theater insgesamt ergeben sich konkrete Forderungen, für eine begrenzte Übergangszeit auch zur Abmilderung der Pandemiefolgen.