Positionspapier: Sozialversicherungspflicht von Orchester- und Choraushilfen

Ausgangslage
Die weltweit einmalige deutsche Orchesterlandschaft ist stark auf ein Repertoiresystem mit freiberuflichen Aushilfskräften angewiesen. Das vorliegende Papier befasst sich mit diesem Thema, gilt inhaltlich jedoch auch für andere in der KSK verortete Berufsgruppen.
Nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) setzt die Versicherungspflicht Selbst-ständigkeit voraus (§ 1 Abs. 1 KSVG) und wird nach dem sozialrechtlichen Beschäftigungs-begriff (§ 7 SGB IV) geprüft. Über Jahrzehnte stellte die Mitgliedschaft in der Künstlersozial-kasse (KSK) für freischaffende Künstler:innen die Regel dar. Kurzfristige, befristete Engagements (zum Beispiel Orchesteraushilfen) wurden bislang in vielen Fällen nicht als sozialversicherungspflichtig eingestuft. Eine Abmeldung aus der KSK war deshalb oft nicht erforderlich.
Problemstellung
Seit 2022 kommt es vermehrt zu Einstufungen freier Orchesteraushilfen als sozialversicherungspflichtig. Die derzeitige Praxis betrachtet regelmäßig nur die einzelne Beschäftigung, statt die berufliche Gesamtsituation der Betroffenen zu berücksichtigen. Eine Betrachtung der gesamten Erwerbsbiografie bzw. der beruflichen Existenz würde häufig zu einer anderen, eher selbständigen Einordnung führen.
Folgen
- Hoher Verwaltungsaufwand
Wiederholte An- und Abmeldungen verursachen beträchtlichen Mehraufwand für die Künstler:innen, die KSK sowie die Krankenkassen. Letztere sehen sich durch die Vielzahl kurzfristiger Meldungen belastet. Ein automatisierter Prozess ist wegen der Komplexität nicht praktikabel, sodass erhebliche Personalressourcen gebunden werden. - Unsicherheit und Existenzgefährdung
Durch die Einstufung bisher sozialversicherungsfreier Tätigkeiten als versicherungspflichtig wird die vergleichsweise geringe Mindesteinnahmegrenze von 3.900 Euro pro Jahr zunehmend unterschritten. Viele freischaffende Musiker:innen denken vermehrt über Berufsaufgabe nach. Die Rechtslage wird als unklar wahrgenommen, und die wirtschaftliche Planbarkeit verschlechtert sich erheblich. - Scheinbarer Schutz – reale Benachteiligung
Die vermeintlichen Vorteile einer Sozialversicherung greifen in der Praxis oft nicht: Freischaffende müssen Pflichtbeiträge zahlen (zum Beispiel zur Arbeitslosenversicherung), erfüllen aber aufgrund fehlender Anwartschaftszeiten (§§ 142 ff. SGB III) in der Regel nicht die Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen wie Arbeitslosengeld I. Gleichzeitig profitieren sie nicht von arbeitnehmerähnlichen Schutzregelungen (zum Beispiel betrieblicher Gehörschutz, Arbeitssicherheit, Vorsorgeuntersuchungen) oder von Ansprüchen auf Urlaub, Mutterschutz, Elternzeit oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Es entsteht damit eine Kombination aus höheren Abgaben bei gleichzeitig eingeschränkter Leistungsperspektive.
Forderung
Zur Vermeidung der genannten Nachteile fordern wir, in § 7 SGB IV eine Bereichsausnahme einzufügen, die künstlerisch-selbständige Tätigkeiten im Sinne des KSVG mit einem Positivkatalog von der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsprüfung ausnimmt.
Formulierungsvorschlag
§ 7c SGB IV – Bereichsausnahme für künstlerisch-selbständige Tätigkeiten
(1) Tätigkeiten, die den Voraussetzungen des § 1 Künstlersozialversicherungsgesetz entsprechen und nach den in Absatz 2 genannten Kriterien typischerweise selbständig ausgeübt werden, gelten nicht als Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1.
(2) Eine typischerweise selbständige Tätigkeit liegt insbesondere vor, wenn
1. der Einsatz projekt- oder auftragsbezogen ist und regelmäßig nicht länger als drei Mo-
nate dauert,
2. keine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers erfolgt,
3. die Vergütung als Honorar und nicht als laufendes Arbeitsentgelt gezahlt wird.
(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung einen Positivkatalog künstlerisch-selbständiger Tätigkeiten zu bestimmen und bei Bedarf anzupassen.
Fazit
Die derzeitige Praxis gefährdet die berufliche Existenz zahlreicher freiberuflicher Musiker:innen, bindet unverhältnismäßig viele Verwaltungsressourcen und führt zu einer sozialpolitisch unerwünschten Mischung aus Beitragslast und fehlender Leistungsberechtigung. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, durch eine gezielte gesetzliche Klarstellung im SGB IV und die Einführung eines Positivkatalogs Fehlentwicklungen zu korrigieren und die Grundlage für eine tragfähige, rechtssichere Lösung zu schaffen.
Ansprechpartner
Thomas Ritschel
Freischaffender Fagottist und Mitglied im unisono-Gesamtvorstand
tomritschel@yahoo.de
Robin von Olshausen
Geschäftsführer unisono Deutsche Musik- und Orchestervereinigung e.V.
kontakt@uni-sono.org
Stand: 12.08.2025
