Grundlagenausbildung Musikergesundheit & Musikphysiologie an Musikhochschulen

05.01.2018

Die DOV macht Vorschläge, wie durch Prävention und Prophylaxe beruflich bedingte Krankheiten signifikant sinken können.

Anforderungen an Berufsmusikerinnen und -musiker steigen

Musikerinnen und Musiker in den professionellen Orchestern und Chören in Deutschland, aber auch Freiberufler sehen sich wachsenden gesundheitlichen Anforderungen ausgesetzt. Dies beruht auf einer tariflich bedingten stärkeren zeitlichen Inanspruchnahme, einem stetig wachsenden Aufgabenbereich und steigendem wirtschaftlichen Druck. Außerdem hat sich die Lebensarbeitszeit verlängert. Es stellt sich daher die Frage, wie Musikerinnen und Musiker der Berufsorchester und der freien Szene sowie professionelle Chorsänger ihre hohen künstlerischen Leistungen bis ins Alter erhalten und ihren Beruf über Jahrzehnte gesund und schmerzfrei ausüben können.

Höhere gesundheitliche Risiken sind die Folge

Der Musikerberuf setzt eine intensive, tägliche Beschäftigung mit dem Instrument von frühem Kindesalter bis zum Eintritt in den Ruhestand voraus. In dieser Lebensspanne von ca. sechs Jahrzehnten müssen die Musikerinnen und Musiker bei ihrer täglich mehrere Stunden in Anspruch nehmenden Arbeit am Instrument hochkomplexe mentale Vorgänge und körperliche Bewegungsabläufe koordinieren. Die oft einseitigen körperlichen Belastungen sind vergleichbar mit denen im Leistungssport. Auch die psychische Belastung kann bei Instrumentalisten wie bei Sängern bis zu einem gesundheitsgefährdenden Maß anwachsen.

In Proben, Konzerten und Aufführungen wird höchste Konzentration unter hohem Leistungsdruck abverlangt. Diese Aspekte des Berufs bergen eine Reihe von Gesundheitsrisiken, die verstärkt werden durch den bei Berufsmusikern oft vorhandenen Willen nach höchster Perfektion.

Musizierbezogene Beschwerden weit verbreitet

Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen dies und zeigen die gesundheitsbezogenen Folgen auf. In der Studie Älter werden im Orchester von Gembris und Heye gaben 55 Prozent der im Jahr 2008 befragten Musikerinnen und Musiker in den Orchestern an, gegenwärtig unter körperlichen Beschwerden zu leiden.[1] Noch beunruhigendere Zahlen werden in der Zeitschrift Musikphysiologie und Musikermedizin angeführt: „Es ist anzunehmen, dass bis zu 80 Prozent der professionellen InstrumentalmusikerInnen im Laufe ihres Berufslebens von verschiedenartigen musizierbezogenen Beschwerden mit temporären oder chronischen Beeinträchtigungen der Berufsausübung betroffen sind.“[2]

Professionelle Musikerinnen und Musiker brauchen musikphysiologische Grundlagenausbildung

Trotz besserer Behandlungsmöglichkeiten als noch vor Jahren muss das Ziel sein, durch Prävention und Prophylaxe das oben genannte Ausmaß an beruflich bedingten Erkrankungen signifikant zu verringern. Dazu ist Wissensvermittlung aus dem Bereich der Musikphysiologie schon an Studierende eine wesentliche Voraussetzung.

Die Arbeitsgruppe Forschung und Lehre der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin (DGfMM) setzt sich seit Jahren konsequent hierfür ein. Als Ergebnis wird bereits erfreulicherweise an mehreren Hochschulen das Fach Musikphysiologie gelehrt und somit vielen Musikern das notwendige Rüstzeug mit auf den beruflichen Weg gegeben.

Im Rahmen des Symposiums der DGfMM im Oktober 2016 wurde durch die Arbeitsgruppe Forschung und Lehre die gegenwärtige Situation der musikphysiologischen Ausbildung an allen Musikhochschulen Deutschlands dargestellt. Das Fazit:

  • Trotz vieler Fortschritte auf Grund der oftmals gemeinsamen Bemühungen der DGfMM mit den Rektoren der Musikhochschulen gibt es weiterhin gravierende Unterschiede im Angebot von musikphysiologischen Bildungsmöglichkeiten an den Ausbildungseinrichtungen.
  • Nach Einschätzung der DGfMM ist dafür neben nach wie vor unterschiedlicher Schwerpunktsetzung durch die Hochschulen selbst leider auch das an manchen Orten immer noch vorhandene mangelnde Verständnis seitens der Politik verantwortlich.

Unsere Forderungen

Die Deutsche Orchestervereinigung appelliert als Verband der Berufsorchester und Rundfunkchöre an die verantwortlichen Rechtsträger und Ausbildungseinrichtungen, die folgenden Forderungen zu berücksichtigen und umzusetzen:

1. Die Wissensvermittlung aus dem Bereich Musikphysiologie an alle Studierenden aller Musikhochschulen ist ein fundamentaler Bestandteil der fachlichen Ausbildung und kann nur im Rahmen eines Pflichtfaches erfolgen.
2. Das Ausbildungsangebot muss so ausgebaut werden, dass die Studierenden auf hohem fachlichem Niveau mit dem für ihren Beruf notwendigen Wissen aus der Musikphysiologie versorgt werden.
3. Die notwendigen finanziellen, personellen und organisatorischen Strukturen sind zu schaffen, um feste Stellen an den Hochschulen für das Fach Musikphysiologie zu etablieren.
4. Die in den vergangenen Jahren immer wieder von der DGfMM überarbeiteten und an die Rektorenkonferenz weiter geleiteten Empfehlungen für das Fach Musikphysiologie und Musikermedizin / Musikergesundheit müssen an allen Musikhochschulen flächendeckend umgesetzt werden.

Nur so kann der Erhalt der Gesundheit der hochspezialisierten Künstler, die sich nachhaltig für den kulturellen Reichtum Deutschlands einsetzen, durch die politisch verantwortlichen Entscheidungsträger ermöglicht werden.

Dezember 2017

[1] Prof. Dr. Heiner Gembris, Andreas Heye M.Sc.: Älter werden im Orchester. Paderborn, 2012, S. 78f
[2] Maria Schuppert, Eckart Altenmüller: Musikermedizin in Deutschland – Eine Standortbestimmung. in: Musikphysiolo- gie und Musikermedizin 2016, Nr. 3, Jg. 23, S. 111